Oliver Jahraus (München)

Heidegger, Schmitt, Jünger: NS-Verstrickung, Ausnahme-Denken und biographische Interpretamente
16.01.2017

Ort: Bibliothek des Internationalen Kollegs Morphomata, Weyertal 59 (Rückgebäude, 3. Etage), 50937 Köln

Zeit: 18.00 Uhr

Kontakt: Sinah Kloß

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Mein Vortrag stellt zwei Fragen: Erstens, was passiert, wenn bekannt wird, dass ein Autor politisch in ein totalitäres System verstrickt war, bzw. welche Auswirkungen hat dieser Umstand auf das life writing, die biographische Forschung, aber auch die Werkinterpretation? Und zweitens, inwiefern lassen sich diese Reaktionen selbst wiederum darauf hin auswerten für die Frage, wie diese Autoren und ihr Werk historisch und politisch zu verorten sind, inwiefern also solche Reaktionen symptomatisch sind für eine spezifisch historische Problemkonstellation, aus der heraus sich diese politische Verstrickung ergeben hat?

Für diese Fragen ist das Konzept des Morphoms grundlegend, weil es genau jene Prozesse zu beschreiben hilft, aus denen wiederkehrende Muster der Rezeption und Interpretation solcher Autoren herauszuarbeiten sind, und jene Strukturen offenbart, die die Formel von „Leben und Werk“ bestimmen.

Das hervorstechende Beispiel aus der jüngsten Zeit ist die Publikation der sog. Schwarzen Hefte Heideggers (eine Art Denktagebuch aus der Zeit von 1931 bis 1941), die belegen sollen, dass Heidegger nicht nur einem philosophisch verbrämten Konzept von Nationalsozialismus anhing, sondern tatsächlich aus philosophischer Überzeugung Antisemit gewesen sei. Im Blickpunkt stehen noch zwei weitere Autoren: Ernst Jünger und Carl Schmitt. Alle drei Autoren gehören unterschiedlichen Diskursfeldern an, der Philosophie, der Literatur (der politischen Essayistik bzw. Journalistik) und der Jurisprudenz. Trotz dieser unterschiedlichen Kontexte bieten sich diese drei Autoren als Ensemble an, weil sie sich gekannt, einander z.T. und phasenweise verbunden waren (mit Ernst Jünger als Gelenkstelle zwischen Heidegger und Jünger), sich intensiv wechselseitig wahrgenommen, sich geschrieben (Briefwechsel) und einander gelesen und punktuell auch interpretiert und weitergeschrieben haben. Alle drei Autoren haben die aus ihrer Verstrickung resultierende Inkriminierung noch erlebt und je spezifisch darauf reagiert.

Solche unterschiedlichen Dispositionen und Reaktionen auf der Basis vergleichbarer Problemkonstellationen machen eine morphomatische Betrachtung äußerst ergiebig, weil so danach gefragt werden kann, wie das Zusammenwirken von Verstrickung und seiner Detektion und Rekonstruktion mit den Reaktionen darauf in spezifischerer Weise auf eine historische Problemlage aufmerksam machen können, auf die die Autoren – vor allem in ihren Werken, das in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus entsteht – reagieren. Wenn deren Rezeptionsgeschichte als Provokationsgeschichte rekonstruiert wird, kann gerade die Frage, warum diese Autoren so provozieren, einen Blick darauf öffnen, welche konstitutiven Problembestände der Moderne hierbei neuralgisch angegriffen werden. Im Blickpunkt stehen dabei wesentliche Elemente des Werkes der Autoren selbst, die die Verortung im life writing in besonderer Weise provozieren. Vor allem sind zu nennen das Konzept der Seinsgeschichte, des Arbeiters und des Ausnahmezustands (die sich in den Texten auch wechselseitig interpretieren).

Der Vortrag findet auf deutsch statt.

Respondenz: Anja Lemke (Universität zu Köln)

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