Private Enzyklopädien, persönliche Wörterbücher, kritische Dictionnaires: Autobiographische Alphabete
Autoren und Autorinnen verschiedener Kulturen und Sprachräume haben literarische Selbstporträts in Form alphabetischer Artikelsequenzen gestaltet, wobei die Artikel teils stilistisch an Lexikon- oder Wörterbuchartikel erinnern, teils als kurze Erzählungen gestaltet sind. Ein Pionier der literarischen Selbstdarstellung in alphabetisch-lexikographischer Form ist im 20. Jahrhundert Alberto Savinio mit seiner „Nuova Enciclopedia“, einer am Leitfaden persönlicher Erfahrungen komponierte ‚Privat‘-Enzyklopädie über Personen, Dinge und Themen, in der sich der Verfasser selbst indirekt porträtiert. Unter thematischen wie unter stilistisch-darstellerischen Aspekten besonders komplex ist Roland Barthes’ Buch „Roland Barthes par Roland Barthes“, das Reminiszenzen an einen „dictionnaire“ aufweist wie andere Barthes-Texte auch.
Trotz (oder wegen) der Bindung an ein vorgefundenes Schema der Textorganisation zeigen autobiographische Alphabete ein hohes Maß an Ausdifferenzierung. Grob (und zu heuristischen Zwecken) unterscheiden könnte man:
( 1 ) Abecedarische Autobiographien im engeren Sinn: Alphabetisch gereihte Erzählungen aus der Geschichte des Ichs
( 2 ) Selbstporträts: alphabetische Artikelserien über prägende Faktoren und Themen des (äußeren und inneren) Lebens
( 3 ) Das Wissen und Denken des Ichs im Spiegel persönlicher ABCs: Selbstporträts des Schreibenden als kritisch-reflexive Instanz
( 4 ) Wörterbuch-Ichs: Selbstporträts am Leitfaden von Stich- und Schlüsselwörtern
( 5 ) Indirekte Selbstporträts: Autofiktionale Romanfiguren in alphabetischen Texten
Zu diesen Gruppen werden Beispiele vorgestellt, anhand der Beispiele leitende Perspektiven entwickelt.
Respondenz: Christian Moser (Bonn)