Das Besondere erzählen – zur Grundlegung der Analyse biographischer Narrative
Mit der Lektüre von Biographien (hier verstanden als textuelle Repräsentationen eines fremden Lebens) sind spezifische Erwartungshaltungen verbunden, zu denen sich jede biographische Repräsentation zu verhalten hat. Nur so kann der jeweilige Kommunikationsversuch, als der jede biographische Darstellung zu betrachten ist, gelingen. Von einer Biographie wird ganz allgemein erwartet, dass sie zuverlässige Informationen über das Leben einer anderen Person liefert, die im Rahmen einer sinnhaften und idealerweise gut oder sogar spannend zu lesenden Erzählung präsentiert werden. Das Leben einer Person wird zumeist deshalb Gegenstand einer Biographie, weil es als besonders gilt, weil der Lebensweg einzigartig ist oder die Person für herausragende Leistungen steht. Und die Biographie wird gelesen, weil sie etwas zu sagen hat über die Voraussetzungen und Begleiterscheinungen jener Besonderheit. Daneben und damit zusammenhängend werden Biographien häufig dann gelesen, wenn sie Antworten auf die Frage nach einem ›guten Leben‹ versprechen: wie es aussieht, welcher Weg dorthin führt oder welche Umwege man in Kauf nehmen muss; mit anderen Worten: weil das dargestellte Leben als vorbildhaft und exemplarisch rezipiert wird. Jene darstellerischen Verfahren, Erzähltechniken und Strategien, die einerseits zur Evokation dieser Erwartungsansprüche und andererseits zu ihrer Einlösung beitragen, sollen im Mittelpunkt des Projekts stehen. Es fragt ganz konkret danach, auf welche Art und Weise biographische Darstellungen Besonderheit modellieren, die als exemplarisch rezipiert werden kann und schließt damit eine Lücke in der Biographieforschung, wo die systematisierende Analyse biographischen Erzählens bislang weitgehend vernachlässigt wird. Ziel des Vorhabens ist es, einen Katalog der bedeutungskonstituierenden Bestandteile biographischer Texte aufzustellen sowie eine Systematik der biographischen Motive, darstellerischer Elemente und ihrer Funktionen zu erarbeiten und diese im Rahmen exemplarischer Beispielanalysen zur Anwendung zu bringen.