Andrea Allerkamp hat seit 2011 den W 3-Lehrstuhl für Westeuropäische Literaturen an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt Oder inne, wo sie bis 2015 Sprecherin des DFG-Graduiertenkollegs »lebensformen + lebenswissen« war. Sie leitet den Masterstudiengang »Literaturwissenschaft: Ästhetik Literatur Philosophie«, gibt das Kleist-Jahrbuch mit heraus und ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Centre Marc Bloch. Zuvor lehrte sie 22 Jahre lang an französischen Universitäten: als Professorin an der Université d’Aix-Marseille und an der Université de Poitiers sowie als Maître de Conférences an der Université de Toulouse II. 2004 erfolgte die HDR an der Université de Sorbonne-IV, 2002 habilitierte sie sich an der Humboldt-Universität zu Berlin, promoviert wurde sie 1990 an der Universität Hamburg. Mehrere Gastprofessuren, zuletzt (2019) an der Université Paris I-Sorbonne.
ÜBERLEBENSWISSEN. TRAUMKRITIK IM TOTALITARISMUS
Rudolf Leonhards umfangreiche Sammlung von eigenen Traumprotokollen vom Mai 1941 bis April 1944 liegen seit 2011 in Buchform vor. Die traumtheoretischen Überlegungen des Lagerhäftlings Leonhard werden im Nachwort von Steffen Mensching jedoch nur kurz erwähnt. Das ist bedauerlich, denn Theorie und Praxis können in der Traumforschung nicht getrennt werden. Protokollieren und Reflektieren greifen im lebensweltlichen Umgang mit dem Traum ineinander, Bericht und Deutung bedingen und befördern sich gegenseitig. Dazu kommt die Komplexität der flüchtigen Traum-Erinnerung im Moment des Erwachens. Dieser Moment birgt ein hohes erkenntniskritisches Potential in sich - und zwar nicht nur für den Träumer selbst, sondern in Form eines kollektiv (un)lesbaren Dokuments, einer biographisch-historischen Quelle, eines epochalen Abdrucks. Leonhards unveröffentlichte Traumthesen reflektieren diese existentiellen Zusammenhänge dank einer philosophisch reflektierten Traumkritik. Je extremer die Überlebensbedingungen, desto dringlicher erscheint allerdings die Übermacht von Politik und Geschichte bis in die Intimität des Traumschlafs hinein. Das aufbereitete Archivmaterial soll kulturgeschichtlich und philosophisch kontextualisiert und im Rahmen des Morphomata-Schwerpunkts »Biographie/life writing« interdisziplinär diskutiert werden. Ziel ist es, eine Edition von Leonhards Traumthesen vorzubereiten und mit einem kritischen Kommentar zu ergänzen.